Projektion – Wenn andere uns ihre Sicht der Dinge aufdrücken

Projektion –

Wenn andere uns ihre Sicht der Dinge aufdrücken

Ein Kinderspiel – meist völlig harmlos. 

Die eigenen Emotionen und Gedanken auf Action-Figuren oder Puppen zu projizieren, war für uns als Kinder der Himmel auf Erden. So hat das Spielen in unserem eigenen Wunderland erst so richtig Spaß gemacht. So wird jedoch auch die Angst vor dem Alleinsein zum Monster unter dem Bett oder die Wut im Bauch führt zum Köpfen der Puppe der sonst ach so geliebten Schwester. Es war eine wundervolle Zeit, in der sich Fantasie und Wirklichkeit ständig miteinander vermischt haben – meist mit harmlosen Konsequenzen. 

Im Laufe des Älterwerdens wird die Trennung von traumhaften Projektionen und Realität zusehends klarer, allerdings bleibt dieses Denkmuster im Hintergrund stets präsent. Gut so. Denn Gutes auf andere zu projizieren oder in ihnen zu erkennen, ist die Basis für Empathie und gelingende Beziehungen. Ohne diese Fähigkeit würden wir in einer sehr langweiligen, kalten und lieblosen Welt ohne Hoffnung leben, in der der eigene Vorteil das Ausnutzen anderer rechtfertigt.

Somit gehören Projektionen in unseren Alltag, wie das Salz in die Suppe – der eine mag etwas mehr, der andere etwas weniger. Gleichzeitig sorgt dies im Businesskontext nicht selten für Konflikte und in bestimmen Machtverhältnissen sorgen diese für Frustration und Aggression – einer muss ja schuld sein und als Sündenbock herhalten, wenn etwas nicht geklappt hat. Was den Alltag zusätzlich verkompliziert und erschwert.

Beispiel gefällig? 

Zum einberufenen Meeting kommen alle pünktlich – außer der Initiator selbst, der Chef. Weit nach Beginn des Meetings muss er von seiner Sekretärin daran erinnert werden, wodurch er vor seinen Mitarbeitenden bloßgestellt wird als jemand, der nicht zuverlässig ist. Unangenehm für den Chef, weshalb genau jetzt meist projiziert wird. 

Der Chef lastet seine unangenehmen Gefühle – unzuverlässig zu sein, vor allen dumm dazustehen – einem anderen an: Er pickt einen Mitarbeiter heraus, der ebenfalls irgendetwas versäumt hat, und putzt diesen aufgrund seiner Machtposition vor allen anderen runter. Das Perfide daran: Oftmals steckt sogar ein Fünkchen Wahrheit dahinter. Jedoch zeigen die Heftigkeit des Ärgers und die gezielte Bloßstellung den projektiven Charakter des Chefs: Er bekämpft ein unerwünschtes Selbst, um sich wieder besser zu fühlen und von seinen eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken. Die Botschaft lautet: Du bist hier der Unzuverlässige, nicht ich. 

Klar, man selbst fühlt sich durch die psychische Abwehrreaktion des Projizierens, durch deren entlastende Wirkung gleich besser, was man von dem armen Würstchen, das als Sündenbock herhalten muss, nicht gerade behaupten kann. Je weniger man das Gefühl von Schwäche oder eigene Unzulänglichkeiten ertragen kann, desto stärker neigt man zu Projektionen. Anderen wird nahezu alles angelastet und in die Schuhe geschoben, wofür man sich eigentlich an die eigene Nase fassen sollte. Im Business gestalten solche Führungskräfte durch ihr Verhalten eine Atmosphäre der Angst. Mitarbeitende, die in einem solchen Umfeld noch arbeiten, werden zu Ja-Sagern konditioniert und klein gemacht, damit sich der Chef besser, mächtig und stark fühlen kann. 

So ein Verhalten hinterlässt allerdings sichtbare Spuren. Wenn keine direkten Wortgefechte ausgetragen werden, führt das meist dazu, dass der Ärger vorerst von den Mitarbeitenden geschluckt wird und sie alles über sich ergehen lassen. Sobald die Gelegenheit allerdings passt, wird getuschelt und gelästert – das sorgt für Verunsicherung und zerstört neben der Stimmung auch das Vertrauen und die Identifikation mit dem Unternehmen. Die High Performer haben spätestens an dieser Stelle das aus ihrer Sicht sinkende Schiff längst verlassen. 

Was hinter der Projektion steckt, sind tief sitzende und zumeist unbewusste Mechanismen, die sich nicht so ohne Weiteres erkennen oder gar von außen ablesen lassen. Aus der Psychoanalyse weiß man jedoch, dass häufig Macht, Gier, Geltungsdrang, Aggression und Neid der Grund für Projektionen sind – Charaktereigenschaften, die Einblicke in eine Denkwelt ermöglichen, in der Innen und Außen nicht sauber voneinander getrennt werden. 

Verunsicherung ist jedoch nicht immer im Charakter zu finden. 

Das Hier und Jetzt beschert uns jede Menge gesellschaftliche Krisen, Herausforderungen durch Wandel und knifflige Probleme, die zusätzlich Verunsicherung und Ängste schaffen. Viele sehnen sich nach Einfachheit – nur die gab es früher auch nicht und heute schon gleich gar nicht. Projektionen lassen Gefühle nicht wirklich verschwinden, die kommen immer und immer wieder zurück.

Menschen, die viel projizieren und immer recht behalten wollen, ziehen unweigerlich jede Menge Ärger an. Eine Diskussion mit ihnen ist meist sinnlos, da sonst ihr Kartenhaus zusammenfallen würde – weshalb sie ihre eigene Sicht der Dinge bis aufs letzte verteidigen. Projektionen werden erst zurückgenommen, wenn sich solche Menschen verstanden fühlen, Selbstsicherheit durch ihr Tun gewinnen und über Gefühle sprechen – zum Beispiel im Coaching-Prozess, wodurch viele Dinge meist verständlicher werden: Warum jemand so empfindet, wie er empfindet, und sich verhält, wie er sich verhält. Wir sollten daher unablässig daran arbeiten, wertiger mit Kunden, Kollegen und Führungskräften zu kommunizieren, immer auch Verständnis für andere Blickwinkel aufzubringen und tolerant zu sein – was bedeutet, es aushalten zu können. Denn Verständnis zu zeigen bedeutet nicht, recht zu geben, sondern es erleichtert den so wichtigen Abgleich mit dem eigenen Blickwinkel und dem Hier und Jetzt. 

Achtsamkeit und vor allem Empathie ermöglichen es uns, gelassener mit Projektionen umzugehen. Wer dem Gesagten durch aktives Zuhören und Perspektivenwechsel auf die Schliche kommt, entdeckt nicht nur mehr Wahrheit, sondern erleichtert sich und anderen das Kommunizieren.